Tanz des Steinmetz an der Kante
Vermutlich hatten die wenigsten Gäste eine realistische Vorstellung davon, welche Leistung Markus Heindl mit seiner Arbeit vollbracht hatte. Die Rede ist vom Grundstein des „LVR-Jüdischen Museums im Archäologischen Quartier Köln“, kurz MiQua genannt. Hochkant auf einem Gestell aus Stahl thronend war er am 28. Juni 2018 auf der Baustelle des Museums der Öffentlichkeit anlässlich der Grundsteinlegung präsentiert worden. Der Kalkstein-Rohling stammt aus der Gegend südlich von Caen in der Normandie. Das Material ist dasselbe, welches seit dem neunzehnten Jahrhundert für Reparaturarbeiten am Kölner Dom verwendet wird. Am MiQua-Logo orientiert verpasste Heindl dem Stein ein Design, welchem die Geschichte der Stadt Köln und die darin verwobene jüdische Kultur gleichermaßen innewohnen.
Rund dreihundert Kilogramm schwer trifft im Frühjahr 2018 aus der Normandie ein Kalkstein-Rohling in der Dombauhütte zu Köln ein. Für die ist Markus Heindl als fest angestellter Steinmetz tätig. Der Chef der Dombauhütte, Dombaumeister Peter Füssenich, hatte sich erfreut gezeigt, der Stadt Köln als Bauherrin und dem Landschaftsverband Rheinland als Betreiber behilflich sein zu können. Mit der Kooperation hat es nämlich eine besondere Bewandtnis: Die Dombauhütte verweist damit auf die mittelalterlichen Beziehungen zum jüdischen Viertel bis zur Vertreibung der Juden aus Köln im Jahr 1424. Zuvor führte die Dombauhütte für die Synagoge der jüdischen Gemeinde Steinmetzarbeiten aus.
Eine ungewöhnliche Bleibe
Heindls Entwurf wird für gut befunden. Ein ganz besonderes Merkmal dieses Grundsteins ist seine spätere Unterbringung. Er wird nicht wie üblich auf Nimmerwiedersehen irgendwo unter dem Neubau oder im archäologischen Parcours verschwinden. Er soll im Museum in Kopfhöhe ohne jeglichen Schutz in die Wand verbaut werden und sichtbar bleiben. Seine Oberfläche wird etwa drei Zentimeter aus der Wand hervorstehen. Die Besucher sollen ihn anfassen, befühlen können.
Klassischer Werdegang mündet am Dom
Markus Heindl ist vorbelastet. Sein Vater hat in der bayerischen Oberpfalz in der Nähe von Bayreuth einen Steinmetzbetrieb. So oft es geht, schaut der Junge dabei zu, wie die Steine bearbeitet werden. Es fasziniert ihn. Der Stein soll seine Berufung sein. Er entschließt sich für die Ausbildung. Dafür muss er eine Entscheidung treffen. „Zwischen dem Steinbildhauer und dem Steinmetz ist es ja ein fließender Übergang. Ich habe mich letztlich für den Steinmetz entschieden“, erzählt Heindl. „Der Betrieb, in dem ich gelernt habe, ist in Köln, ein Steinmetzbetrieb, der Grabmale herstellt. Dieser Betrieb hat Verbindungen zur Dombauhütte hier. Dann hatte ich das große Glück, als erster Austauschlehrling in der Dombauhütte arbeiten zu können. Und da wusste ich schon in ganz jungen Jahren: Das ist es, das willst Du machen. Ich merkte schon während meiner Lehrzeit hier, wofür mein Herz schlägt.“
Gestaltung mit Sinn und Verstand
Mit dem Abschluss seiner Ausbildung bleibt Markus Heindl bei der Kölner Dombauhütte und wirkt dort seit mittlerweile fast dreißig Jahren als Steinmetzmeister. Er bearbeitet nicht nur Epitaphien, Schrifttafeln, Kreuzblumen sowie andere in Stein gehauene Ornamente und Schriften, sondern er ist auch gestalterisch aktiv. So habe er bereits vor vielen Jahren damit begonnen, für den Dom Neues zu kreieren. Genau deswegen sei er von Dombaumeister Peter Füssenich auf den Grundstein angesprochen worden. Der habe ihn gefragt, ob er das machen könne. Heindl erzählt: „Eine Werbeagentur hat das Logo für das MiQua entwickelt. Als man mir das gezeigt hat, hatte ich sofort Ideen im Kopf, wie man das umsetzen könnte. Es machte Sinn, das Logo aufzugreifen und mit einzubeziehen. Ich habe dann vorgeschlagen, ein Quadrat zu nehmen, in das ein weiteres Quadrat ein paar Zentimeter tief versenkt wird. In dem versenkten Feld sollte etwas passieren.
Es gab den Wunsch, die Jahreszahl 2018 aufzunehmen. Dann kam der Gedanke auf, die Jahreszahl 2018 in hebräischer Schrift einzubinden. Das sollte auch in römischer Schreibweise geschehen. Dann haben wir uns darauf besonnen, dass es ja jeweils eine eigene jüdische und römische Zeitrechnung gibt. Also haben wir die Jahreszahl 2018 auf den jüdischen und auf den römischen Kalender umgerechnet. Daraus ergibt sich für das Jahr 2018 nach Christi Geburt im jüdischen Kalender das Jahr 5778, in der römisch-christlichen Zeitrechnung (ohne das Jahr 0) das Jahr 2771. Der römische Schriftschnitt wurde dem der Trajanssäule in Rom nachempfunden.“ Schließlich kommt eins zum anderen. Heindl baut in den Stein die archäologischen Stufen ein, die bis zur MiQua führen. Der optische Eindruck wird dabei weitgehend vom Goldenen Schnitt bestimmt.
Äußerste Präzision ist gefragt
Wer Heindl bei seiner Arbeit zusieht, fragt sich unwillkürlich: Was passiert eigentlich, wenn er sich mal verhaut? Matthias Deml, Pressesprecher der Dombauhütte Köln, erklärt: „Natürlich gibt es auch Möglichkeiten, bei einem Fehler im Stein oder einer erheblichen Beschädigung Vierungen zu setzen und den Stein zu reparieren. Dies sieht ein geübtes Auge aber meistens. Insbesondere bei so herausragenden Stücken wie dem Grundstein darf es daher nicht passieren.“ Heindl passiert es nicht.
Das Ergebnis ist ein zweihundertfünfzig Kilogramm schwerer Grundstein mit den Maßen siebenundsechzig mal siebenundsechzig mal fünfundzwanzig Zentimetern. In einer seitlichen Bohrung werden anlässlich der Präsentation von Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker unter tatkräftiger Mithilfe von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, vom Vorsitzenden der Landschaftsversammlung Rheinland, Prof. Dr. Jürgen Wilhelm sowie vom Architekten Prof. Wolfgang Lorch verschiedene symbolträchtige Gegenstände untergebracht: Zeitungen, die in Artikeln den Bau des MiQua bis dahin begleitet haben, Baupläne des MiQua, Münzen, ein römisches Ziegelfragment, eine mittelalterliche Schiefertafel und aus der Zerstörungsschicht des zweiten Weltkrieges einen bis zur Unkenntlichkeit zerschmolzenen Glasgegenstand.