Im Süden der Bretagne

Auf den Spuren von Jean-Luc Bannalec

Es wäre frech gelogen, zu behaupten, die Kriminalromane von Jean-Luc Bannalec hätten nichts damit zu tun gehabt, den Süden der Bretagne zu inspizieren. Ich will mich hier auch nicht über den Autor und dessen Pseudonym auslassen, jedoch betonen, wie sehr diese Bücher dazu beigetragen haben, interessante Gegenden zu finden und auf ebenso interessante Menschen zu treffen. Der vorliegende Bericht ist die Fortsetzung von „Bretagne – eine Reise in die Vergangenheit“. Das heißt, wir sind direkt von St.-Pol-de-Léon nach St.-Gildas-de-Rhuys gefahren in der Annahme, von hieraus auf kurzen Wegen diejenigen Orte, die Bannalec beschreibt, besuchen zu können. Zumindest die kurzen Wege sollten sich als großer Irrtum erweisen.

Der Hauptgrund liegt darin begründet, dass es von St.-Gildas aus keine Möglichkeit gibt, nein, geben kann, eine Autofähre über den schmalen Meereszugang nach Locmariaquer zu nutzen. Daher mussten wir, um romanrelevante Orte wie Quimper, Concarneau, Pont Aven oder Port de Bélon zu erreichen, immer den Golf von Morbihan umfahren. Hinzu gesellte sich ein gefühlstechnischer Aspekt: Die Umstände in Roscoff und St.-Pol-de-Léon waren solchermaßen perfekt, dass es der Süden schwer haben würde, dagegen anzukommen. Ich will jedoch nicht länger lamentieren und mit der Abfahrt in St.-Pol beginnen.

Siebzehnter Tag, 03. Oktober 2015

Wir stehen früh auf. Das Reisefieber hat uns am Wickel. Unsere beiden Nachbarn sind ebenfalls im Aufbruch. Die einen müssen nach Lille zurück, die anderen nach Lyon, in beiden Fällen der Arbeit wegen. Als ich auf den Vorplatz komme, um das Beladen unserer beider Autos vorzubereiten, erstarre ich in Ehrfurcht: Die Familie aus Lyon ist in ihrem kleinen Renault zu fünft angereist, was ich bis dato gar nicht realisiert habe. Vater, Mutter, Tochter und zwei Großeltern gilt es zu transportieren. Mit dem Einräumen des Gepäcks in den Kofferraum vollbringt die Familie ein logistisches Wunder.

Der kleinste Zwischenraum wird genutzt

Der kleinste Zwischenraum wird genutzt

Die Wohnungsübergabe findet um 09 Uhr 30 statt. Es ist alles in Ordnung. Wir treffen uns anschließend in einem Café in St.-Pol, um ein abschließendes Croissant-Café-au-Lait-Frühstück einzunehmen.Dann machen wir uns auf den Weg. Silvia und Albert fahren getrennt von uns in Richtung Saint-Gildas. Die Fahrt verläuft angenehm. Unterwegs machen wir eine kleine Pause in einer Stadt namens Le Faouët, die bereits im äußersten Norden des Départements Morbihan gelegen ist. Dort gibt es eine dieser altertümlichen Markthallen, deren Fundamente sowie untere Teile zuzüglich der tragenden Säulen aus Stein gebaut sind. Der Rest bis zum Dachgiebel besteht aus Holz. Heute ist kein Markttag. Stattdessen wird eine Kirmes vorbereitet. Wir lassen Goya ein wenig Auslauf und setzen uns dann in eine hübsche Bar, die Central Bar Chez Denise. Sie ist genau so, wie man sich als Nicht-Franzose eine französische Bar vorstellt. Und die Unisex-Toilette, bekanntermaßen in Frankreich weit verbreitet, ist ein Ereignis: Marilyn Monroe schaut zu!

Huch! Marilyn auf dem Klo!

Huch! Marilyn auf dem Klo!

Gegen vierzehn Uhr kommen wir bei unserem Ferienhaus in Saint Gildas an. Unterwegs hatten wir uns wie aufgetragen telefonisch mit der Verwalterin, Madame L. in Verbindung gesetzt, um den Code für den Schlüsseltresor des Hauses in Erfahrung zu bringen. Wie so oft haben wir tolles Wetter – der Norweger hat doch meistens Recht. Hier spiele ich einmal mehr auf den norwegischen Wetterdienst „www.yr.no“ an, der auch dann, wenn er daneben liegt, grundsätzlich Recht hat.

Alles ganz anders als im Norden

Nach unserer Ankunft geht es auch schon los mit den Problemen. Das erste: Im Haus und auch in unmittelbarer Nähe gibt es keine Netzabdeckung fürs Handy. Dabei sollten wir uns doch nach unserer Ankunft wegen der Übergabe und den damit verbundenen Informationen telefonisch bei der Verwalterin melden. Zwischenzeitlich treffen Silvia und Albert ein. Ich entferne mich zu Fuß vom Ferienhaus unter unablässiger Beobachtung des Handy-Displays. Und da, etwa einhundert Meter weit entfernt zeigt sich zögerlich ein Bälkchen. Kurze Zeit später trifft die Verwalterin ein, die in Kenntnis dieses Problems gar nicht erst versucht hat, anzurufen. Oui, das mit dem ‚mobile‘ sei nun mal so. Und oui, wegen der kurz zuvor anwesenden Handwerker gebe es auch keinen zweiten Schlüssel. Und oui, die Waschmaschine, die sei kaputt und noch nicht erneuert. Wenn wir glaubten, unbedingt waschen zu müssen, so sollten wir einen Waschsalon in Vannes aufsuchen und die Rechnung sozusagen bei ihr einreichen.

Im Laufe des Nachmittags stellen wir fest, dass das noch nicht alles ist. Der Kühlschrank kommt nur zögerlich auf Touren. Die Lampe darin funktioniert überhaupt nicht, so dass wir zuerst den Verdacht hegen, er sei völlig kaputt. Im Schlafzimmer im Erdgeschoss ist so wenig Platz, dass neben das Bett nur ein winziges Nachtschränkchen passt. In einer Nachttischlampe im Schlafzimmer im Obergeschoss und in einer Wandlampe im Wohnzimmer fehlen jeweils eine Birne, im Falle des Wohnzimmers gibt es noch nicht einmal eine Birnenfassung. Das Besteck ist dermaßen schmuddelig, dass wir es vor Erstbenutzung komplett abwaschen. Ebenso präsentieren sich die Kochtöpfe. Und das bei einem deutschen Eigentümer und Vermieter – so viel zu Vorurteilen. Kurzum, wir sind deprimiert. Verschlimmert wird dieser seelische Zustand nach einem Imbiss während unseres kurzen ersten Erkundungsspazierganges zum Meer. Wir müssen feststellen, dass uns bei Ebbe ein bestialischer Gestank einnebelt. Selbst wenn wir es wollten, wäre an ein Bad im Meer nicht zu denken. Der Gestank kommt je nach Windrichtung mehr oder weniger bis zu unserem Haus.

Rote, stinkende Algen am Strand

Rote, stinkende Algen am Strand

Algenplage in der Bretagne

Erst später kann ich in Erfahrung bringen, dass die Algenteppiche, grün oder rot, in der gesamten Bretagne ein großes Problem darstellen. Die damit verbundenen Ausdünstungen von Schwefelwasserstoff können gar lebensbedrohlich sein – für Mensch und Tier. Hauptverantwortlich für die Algenpest sei nach Untersuchungsergebnissen verschiedener wissenschaftlicher Institute die Landwirtschaft, die sich zu wenig um die Einleitung von Düngemitteln in das Meer kümmere.

Schließlich fahren Petra, Silvia und, leider, ich noch einkaufen. Die beiden Damen lassen mich vor dem Super U eine geschlagene Stunde lang warten, was deshalb besonders ärgerlich ist, weil zum wiederholten Male die Leine für den Hund nicht ins Auto zurückgelegt wurde. So kann ich mit Goya in der Zwischenzeit nichts unternehmen und wir beide sind zum untätigen Warten verdammt. Hinterher ist Petra auf mich sauer, weil ich sauer bin – das soll einer verstehen. Zum Abendessen gibt es eigenhändig gepulte Krabben sowie Thunfisch, gebraten für Albert und Silvia, roh für Petra und mich.

Achtzehnter Tag, 04. Oktober 2015

Der erste Tag in Saint-Gildas-de-Rhuys wird von trübem Wetter eingeleitet. Ich suche nach Örtlichkeiten für Goya, unsere gemeinsamen Spaziergänge zur beiderseitigen Zufriedenheit absolvieren zu können. Wir haben zwei Möglichkeiten, ans Meer zu gelangen, einmal über eine schmale Zufahrtsstraße zu einzelnen Ferienhäusern, zum anderen über die Zufahrtsstraße zum Jachthafen von St.-Gildas – na ja, Hafen ist etwas übertrieben, „Häfchen“ passte besser.

In St.-Gildas ist an diesem Tag Markt. Als wir dort eintreffen, regnet es. Wie immer hat der norwegische Wetterdienst recht – auf die Minute. Direkt am Marktplatz liegt die Kirche der Benediktiner-Abtei. Nach einem Rundgang über den Markt kehren wir in das Café am Platze ein, trinken dort Milchkaffee und essen Croissants. Das Café und die Menschen sind sehr nett und haben uns in unseren festsitzenden Meinungen etwas versöhnt.

Der Durchgang vom Golf in den offenen Atlantik: Man sieht, wie die Flut kommt

Der Durchgang vom Golf in den offenen Atlantik: Man sieht, wie die Flut kommt

Keine Fähre – weite Strecken

Nach unserer Rückkehr in das Ferienhaus beschließen wir, nach Arzon beziehungsweise Port Navalo zu fahren, um herauszufinden, ob der Zugang zum Golf von Morbihan mit einer Autofähre überquert werden kann. Wir müssen feststellen, dass es keine Autofähre gibt. Und das ist in Anbetracht der Enge des Städtchens nicht verwunderlich. Wir können uns die kilometerlangen Autoschlangen in der Hauptsaison lebhaft vorstellen, die sämtliche Sträßchen und Wege verstopfen würden. Also gibt es lediglich eine Personenfähre, die allerdings nur bis Ende August in Betrieb ist. Danach wird auch dieser eingestellt, so dass unsere geniale Idee, zum Zwecke der erheblichen Verkürzung der Fahrstrecke in Richtung Quiberon, Concarneau, Port-de-Bélon, Pont Aven oder Quimper, allesamt geplante Ausflugsziele, das eine unserer Autos auf der anderen Seite in Locmariaquer stehen zu lassen und nach Überquerung des Golfzugangs mittels Personenfähre einfach dieses zu benutzen, zur Makulatur verkommt.

Wir suchen schließlich nach einer Stelle, wo wir spazieren gehen können. Eine solche finden wir schnell und gehen etwa eine Stunde lang am Wasser entlang. Es nieselt, aber weder sind wir dumm, noch haben wir schlechte Kleidung. Es ist trotz Nieselregens schön. Nach der Rückkehr in unser Ferienhaus wird erst einmal zu Abend gegessen. Anschließend spielen wir, na was wohl, richtig, Doppelkopf. Diesen Spieleabend vergesse ich am besten so schnell wie möglich.

Der Zugang zur Innenstadt von Vannes durch das Tor am Hafen

Der Zugang zur Innenstadt von Vannes durch das Tor am Hafen

Neunzehnter Tag, 05. Oktober 2015

Am Morgen des neunzehnten Tages sehen wir uns die Landkarte etwas genauer an und beschließen, in die Hauptstadt des Départments Morbihan, nach Vannes, zu fahren. Sie liegt etwa zwanzig Kilometer entfernt von uns ziemlich genau gegenüber dem Meereszugang. Wir wollen uns zwar die Stadt ansehen, sind aber grundsätzlich auf der Jagd nach einer Speicherkarte mit mehr Kapazität für eine unserer Kameras sowie nach wandertauglichen Schuhen für Petra. Irgendwo am Stadtrand von Vannes entdecken wir einen Elektronikmarkt namens FNAC, wo wir das gewünschte Speichermedium erstehen können. Bereits auf dem Weg in die Innenstadt überfällt sowohl Petra wie Albert ein menschliches Bedürfnis. In noch völliger Unkenntnis der Parkmöglichkeiten und in Anbetracht des unerwartet hohen Verkehrsaufkommens nutzen wir die erstbeste Parkmöglichkeit im Hafengelände von Vannes und werden toilettentechnisch unerwartet schnell fündig.

Das Städtchen entpuppt sich als ausgesprochen hübsch. Allerdings zeigt sich das Wetter kalt, windig und feucht. Etwa hundert Meter hinter dem Stadttor befindet sich ein Schuhgeschäft, in welchem Petra ein Paar Wanderschuhe von Aigle – sehr leicht, wasserdicht und ungeheuer bequem – erstehen kann. Sie animiert mich, es ihr gleich zu tun. Ich bin ihr dafür bis heute dankbar. Anschließend schlendern wir durch die Gassen von Vannes.

Wir schlendern durch die Gässchen der Altstadt von Vannes, überqueren den langezogenen zentralen Platz und gelangen schließlich zur teilweise eingerüsteten Cathédrale Saint-Pierre, der einst auch der Titel einer Basilica Minor verliehen worden war. Sie ist mit einer Länge von über hundert Metern ein beeindruckendes Gebäude.

Im Hauptschiff der Cathédrale Saint-Pierre. Wie in vielen der bretonischen Kirchen gibt es keine Bänke, sondern Stühle. Im Zweifel können mehr Menschen untergebracht werden

Im Hauptschiff der Cathédrale Saint-Pierre. Wie in vielen der bretonischen Kirchen gibt es keine Bänke, sondern Stühle. Im Zweifel können mehr Menschen untergebracht werden

Der Grundstein der Kathedrale war bereits zu Beginn des elften Jahrhunderts gelegt worden. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurde die Kathedrale immer wieder erweitert und entwickelte sich so zu einem Gebäude unterschiedlicher Baustile, beginnend bei der Romanik über die Gotik, die Renaissance hin zur Neogotik. Für den letztgenannten Baustil stehen der Südturm und die Westfassade, die erst Mitte des achtzehnten Jahrhunderts fertiggestellt worden waren. Wir nehmen uns vor, Vannes bei deutlich einladenderem Wetter zu besichtigen. Immer wieder wandern unsere Gedanken wehmütig zurück nach Roscoff und St.-Pol de Léon. Wir müssen uns anstrengen, die Gemüter für das Hier und Jetzt zu erwärmen, was derzeit einzig Albert zu gelingen scheint.

Kein anständiger Wein

Angesichts einer einladenden Crèperie bessert sich unsere Laune schlagartig. Das Essen ist gut. Auf der Rückfahrt allerdings müssen wir feststellen, dass der einzige Weinhändler, den wir noch vor unserer Abfahrt nach Vannes in der unmittelbaren Umgebung um Saint-Gildas ermitteln konnten – er ist in Arzon ansäßig – geschlossen hat. Daher bleibt uns nichts anderes übrig, als mit der kläglichen Auswahl des „SPAR“ in Saint-Gildas vorlieb zu nehmen, wo wir ein paar Flaschen Wein erstehen. Nach unserer Rückkehr machen wir mit Goya einen Spaziergang entlang des Meeres. Das Wetter klart auf und der Sonnenuntergang taucht die Landschaft in einen Farbtopf.

Spät in der Nacht sind sämtliche Wolken wie weggeblasen. Auf dem Hundespaziergang können wir uns am Sternenhimmel gar nicht sattsehen. Sogar die Milchstraße ist deutlich auszumachen. Übrigens: Doppelkopf habe ich wieder haushoch verloren.

Nur ein winziger Ausschnitt der Alignements mit Größenvergleich

Nur ein winziger Ausschnitt der Alignements mit Größenvergleich

Zwanzigster Tag, 06. Oktober 2015

Trotz einer Hoffnung weckenden wolkenlosen Nacht präsentiert sich das Wetter tagsüber auch heute von seiner launischen Seite. Wir denken nach: Carnac ist nicht so weit. Und ganz in der Nähe sollen sich die berühmten „Alignements“, die Felder aufgereihter Menhire befinden, dem Vernehmen nach mehr als dreitausend. Wir fahren also um den Golf von Morbihan herum. Auf dem Weg nach Carnac befinden wir uns unvermittelt auf einer Straße, die parallel zu den Alignements verläuft. An einen großen Parkplatz war von Seiten der Kommune gedacht worden, so dass wir das Auto abstellen können. Allerdings ist es hier lediglich möglich, in einem touristischen Informationszentrum Informationsmaterialien und Souvenirs zu erstehen. Es ist nicht möglich, zu den in Sichtweite stehenden Steinen zu gelangen. Das Gelände ist abgesperrt. Erst rund zwei Kilometer zurückliegend befindet sich ein kleinerer Parkplatz, von dem aus wir endlich einen Zugang auf das Gelände finden. Dieses ist menschenleer. Wir lassen uns in die Steinzeit zurückversetzen. Der Spaziergang zwischen den teilweise weit über mannshohen Steinen, relativ ordentlich in Reih‘ und Glied stehend, lässt tiefe archaische Gefühle aufkommen.

Einer der Renn-Trimarane. Die Menschen an Bord vermitteln einen Eindruck von der Größe

Einer der Renn-Trimarane. Die Menschen an Bord vermitteln einen Eindruck von der Größe

Nach ausgiebiger Erkundung des Geländes lassen wir die Alignements hinter uns, fahren auf das Geratewohl weiter in Richtung Meer und landen in einem riesigen Jachthafen, in La Trinité-sur-Mer – nach unserem Aufbruch haben wir die Möglichkeit, von der Pont de Kérisper einen Blick von oben auf den Hafen zu werfen, was uns einen realistischen Eindruck von dessen Ausmaßen verschafft.

Wir schauen uns um und entdecken an einem Kai Renn-Trimarane. Die Skipper und ihre Mannschaften scheinen in eingeweihten Kreisen einen gewissen Bekanntheitsgrad zu genießen. In diesem Zusammenhang können wir erfahren, dass La Trinité-sur-Mer als ein wichtiger Ausgangspunkt für Atlantiküberquerungen gilt. Die Aktivitäten an Bord verschiedener Boote lassen auf die Vorbereitung der einen oder anderen schließen. Leider treibt uns zwar nicht unerwarteter, jedoch sehr plötzlich einsetzender, heftiger Regen in eine Bar, in welcher wir mit einer hervorragenden Galette entschädigt werden.

Le Grand Menhir ist in vier Teile zerbrochen

Le Grand Menhir ist in vier Teile zerbrochen

Ein ganz besonderer Menhir

Nachdem wir Goya am Strand von Carnac sein Badevergnügen bei ständig wechselnden Wind- und Regenverhältnissen bereitet haben, fahren wir weiter nach Locmariaquer. Dort soll mit einer Länge von insgesamt zwanzigeinhalb Metern, aufgerichtet rund achtzehneinhalb Metern (zwei Meter tief steckte er vermutlich in der Erde), in vier Teile zerbrochen der längste bislang gefundene Menhir der Welt, der „Grand Menhir“ herumliegen.

Auf dem Gelände befinden sich zudem zwei Grabstätten, von denen eine sich zwar nicht mehr vollständig im Originalzustand befindet, jedoch möglichst stilecht restauriert wurde, so dass die Grabkammer begehbar ist. Albert hat erst einmal die Nase voll und bleibt im Auto zurück, während sich Petra, Silvia und ich wieder einmal in die Steinzeit begeben. Das Wissen um den wartenden Albert jedoch lässt uns das Gelände im Eiltempo erkunden.

Ein Grabhügel mit Eingang. Er wurde unter Verwendung der noch vorhandenen Steine und Steinplatten restauriert

Ein Grabhügel mit Eingang. Er wurde unter Verwendung der noch vorhandenen Steine und Steinplatten restauriert

So beenden wir unsere Besichtigung ziemlich zügig und kehren zurück. Wir werden mit den Worten empfangen: „Das ging aber schnell. War wohl nicht sehr interessant.“ Wir verkneifen uns eine Antwort und machen uns auf in den Super U, wo die Zutaten für das Abendessen eingekauft werden. Wie üblich spielen wir nach dem Essen Doppelkopf. Ich weiß nicht mehr, wer gewonnen hat, ich jedenfalls nicht.

Einundzwanzigster Tag, 07. Oktober 2015

Am Morgen nach dem Frühstück hat Petrus offenbar sein Pulver verschossen. Gemäß den Mitteilungen des norwegischen Wetterdienstes soll den Süden der Bretagne in den kommenden Tagen überwiegend sonniges Wetter erleuchten lassen.

Auf der Pont de la Roche Bernard

Auf der Pont de la Roche Bernard

Heute wollen wir uns das erste Mal auf die Spuren von Kommissar Dupin begeben und eine Gegend aufsuchen, in welcher das sogenannte bretonische Gold, das Fleur de Sel geerntet wird: Die Städte Guérande (bretonisch Gwenrann) und Le Croisic (bretonisch Ar Groazig). Die Ortschaften liegen im äußersten Südosten der Bretagne, im Département Loire-Atlantique.

Auf der Fahrt nach Guérande überqueren wir die Pont de la Roche Bernard, eine Brücke, die, so wie sie sich heute präsentiert, im Zeitraum zwischen 1957 und 1960 erbaut wurde, deren Pfleiler 84 Meter in den Himmel ragen und die in rund 55 Metern Höhe und auf einer Länge von gut 410 Metern (250 Meter netto) die Vilaine überquert.

Eine der alten Zufahrtsrampen

Eine der alten Zufahrtsrampen

Die Überbrückung der Vilaine an dieser Stelle hat eine ebenso wechselhafte wie abenteuerliche Entwicklung durchgemacht, die ich daher nicht vorenthalten möchte. Zwischen den Jahren 1835 und 1839 wurde das erste Mal eine Brücke als Hängebrücke gebaut, in welche jeweils drei Bögen eingearbeitet worden waren. Die Brücke besaß Zufahrtsrampen aus Stein. Im Herbst 1852 schließlich brachte ein schwerer Sturm das ohnehin schwingungsanfällige Konstrukt zum Einsturz. Nach der Restauration an selber Stelle erlitt sie wiederum Sturmschäden. Die Anfälligkeit änderte sich im Weiteren trotz verschiedener Stabilisierungsmaßnahmen nicht. Immer wieder musste die Brücke das eine oder andere durchaus auch konstruktionsrelevante Teil Stürmen opfern. Im Jahre 1911 schließlich wurde anstelle der alten Konstruktion eine Stahlbogenbrücke gebaut, welche die Zufahrtsrampen der alten Brücke verwendete.

Dieses Gebilde hielt tatsächlich allen Naturgewalten schadlos stand. Dann kam der Krieg. Im Jahre 1944 bereitete die deutsche Wehrmacht die Sprengung der Brücke vor, um gegebenenfalls den Vormarsch der amerikanischen Truppen aufhalten zu können. Die Amerikaner kamen zwar nicht, aber ein Blitzschlag. Der löste am 15. August 1944 die Sprengung aus, wodurch die Brücke völlig zerstört wurde. Die heutige Brücke wurde neben den alten Zufahrten gebaut.

Ein Zugang zur Altstadt von Guérande

Ein Zugang zur Altstadt von Guérande

Bombastisches Stadttor

Wir kommen auf die Stadt Guérande zu. Sie präsentiert sich innerhalb ihrer mächtigen Stadtmauern und Stadttore als eine ausnehmend schöne, mittelalterliche Stadt. Durch die Straßen und Gassen der Altstadt flanierend stoßen wir schließlich auf die Stiftskirche St.-Aubin. Uns fällt ein nettes Kaffee auf, in welchem es neben vielen Tee-, Kakao- und Kaffeesorten allerlei Krimskrams zu kaufen gibt. Dort ruhen wir uns etwas aus, trinken Kaffee (die anderen) und weiße Schokolade (ich), bevor wir uns auf die Suche nach den Salzfeldern aufmachen. Ausgeschildert ist nichts – zumindest können wir keine Schilder ausmachen.

In den berühmten Salinen von Le Croisic

In den berühmten Salinen von Le Croisic

Salz gefunden

Auf der Fahndung nach dem berühmten Salz kommen wir über Le Croisic, eine ebenfalls mittelalterliche Stadt, nach Turballe und Saillé.

Mitten in den Salinen fotografierend machen wir uns ein bisschen lustig über den Hype, der mit Fleur de Sel gemacht wird, unterstrichen von einem touristisch aufgemachten, großen Gebäude, in welchem für die unterschiedlichsten Salzkonfektionen gesalzene Preise zu entrichten sind. Wir sehen uns noch etwas in den Salinen um, fantasieren über den Mordversuch an Kommissar Dupin und beschließen, zurückzufahren.

Die Meeresbrandung frisst unablässig Felsen und Küste

Die Meeresbrandung frisst unablässig Felsen und Küste

Ein erster Eindruck von „Sauvage“

Der Nachhauseweg führt uns entlang der Küste, die sich immer zerklüfteter präsentiert und an welcher sich unvermittelt ein einsamer, formell leicht zu interpretierender Menhir ins Blickfeld schiebt.

Einer vor dem Steinblock angebrachten, erläuternden Tafel ist zu entnehmen, dass sich über diesen etwa im Jahr 4500 vor Christus installierten Menhir noch im 19. Jahrhundert die Geistlichkeit aufregte, weil er jungen Mädchen dazu diente, die Fruchtbarkeit steigern zu wollen, indem sie um ihn herumtanzten. Wir sind beeindruckt, gehen ein wenig spazieren und genießen den Wind, der uns um die Nase weht. Wetter und Ausblick lassen uns tief durchatmen. Die kräftige Brandung vermittelt uns einen kleinen Eindruck von dem, was die Franzosen Wilde Küste nennen. Schließlich jedoch treibt uns der Hunger weiter. So begeben wir uns auf die Suche nach einem Restaurant.

Gähnende Leere im Gastraum der Crèperie. Kurze Zeit später ist das Restaurant voll besetzt

Gähnende Leere im Gastraum der Crèperie. Kurze Zeit später ist das Restaurant voll besetzt

Da ist ein Licht

Die Küstenstraße scheint kein Ende zu nehmen. Es wird bereits dunkel. Da, endlich, kurz vor Surzur kommt uns ein Ortschild entgegen: Ambon.

In einiger Entfernung tanzt ein Licht, beim Näherkommen immer heller werdend, einladend. Eine Crèperie schält sich aus der Dämmerung. Zuerst drängt sich der Eindruck auf, es handele sich nur um einen Imbiss. Hinter dem unmittelbar am Eingang gelegenen Tresen tut sich jedoch ein großer Gastraum auf, offenbar von weiblicher Hand gestaltet. Wir werden vom Wirt ausgesprochen herzlich eingeladen, uns niederzulassen. Es ist auffällig, dass der Hund bislang nirgendwo ein Problem darstellt. Nach kurzer Zeit sind alle Tische im Gastraum besetzt. Das Essen ist vorzüglich und bewegt sich preislich im Rahmen. Anschließend fahren wir nach Hause und beschließen bestens gelaunt, am kommenden Morgen besonders früh aufzustehen, um auf den angekündigten Markt nach Vannes zu fahren.

Menschenleerer Strand in Saint-Pierre de Quiberon bei prächtigem Wetter

Menschenleerer Strand in Saint-Pierre de Quiberon bei prächtigem Wetter

Zweiundzwanzigster Tag, 08. Oktober 2015

Wir quälen uns zu unmenschlicher Zeit aus den Betten, um den Markt in Vannes keinesfalls verpassen. Der mache nämlich schon um dreizehn Uhr seine Pforten dicht, heißt es. Heute parken wir auf einer Straße, die parallel zum Stadtmauergraben verläuft. Von da aus ist es möglich, an verschiedenen Stellen die Altstadt von Vannes zu betreten. Der Blick auf die Stadtmauer ist großartig.

Allerdings müssen wir zu unserer grenzenlosen Enttäuschung feststellen, dass der Markt erst übermorgen, also am zehnten Oktober stattfinden soll. Flexibel, wie wir sind, beschließen wir nach einem Palaver kurzerhand, das Programm zu ändern und machen uns auf den Weg auf die Halbinsel Quiberon (Presqu’île de Quiberon), vor allem um uns die berühmte Côte Sauvage anzusehen.

Während in St.-Pierre die Sonne scheint tobt über der Belle-Île ein Unwetter

Während in St.-Pierre die Sonne scheint, tobt über der Belle-Île ein Unwetter

Belle Île gestrichen

Auf der Halbinsel angekommen, stranden wir in Saint-Pierre-Quiberon. Das Städtchen ist völlig überfüllt, diesmal nicht wegen der Touristen – die gibt es zu dieser Jahreszeit kaum -, sondern weil hier Markttag ist. Nach längerem Suchen finden wir einen günstig gelegenen Parkplatz, und der liegt sogar in unmittelbarer Nähe des Strandes. Hatten wir vorher noch damit geliebäugelt, auf die Belle Île überzusetzen, so sind wir jetzt froh, das nicht getan zu haben. Vom Strand aus, in strahlendem Sonnenschein, sind die am Horizont über der Insel tief hängenden, dunkelgrauen Regenwolken zu sehen, selbst der monsunartige Regen ist zu erkennen, welcher die Insel gerade überflutet. Zudem haben wir uns viel Geld erspart, weil die Überfahrt schon ohne PKW sehr teuer ist, von der Überfahrt mit PKW gar nicht zu reden. Es ist angenehm warm, im Schatten zeigt das Thermometer dreiundzwanzig Grad Celsius. Die Damen begeben sich einmal mehr auf Muschel- und Schneckengehäusesuche, Albert und ich lassen Goya im Wasser toben.

Petra lässt sich in der Strandbar die Austern schmecken

Petra lässt sich in der Strandbar die Austern schmecken

Auf dem Weg zu einer Strandbar treffen wir einen Belgier, der seinen Ruhestand hier in Saint-Pierre verbringt. Von ihm erhalten wir interessante Informationen über die Presqu’île de Quiberon.

In der Strandbar essen wir zu Mittag: Petra Austern, wir anderen Galettes. Das Essen ist – wieder mal – ausgesprochen gut. Wir haben zwar Ebbe, können aber deutlich sehen, wie sich die Flut sachte, wie der Minutenzeiger einer Uhr, aufmacht, den erweiterten Strand wieder zu verkleinern. Windgeschützt lassen wir uns von der Sonne aufheizen. Wir beobachten einige andere Gäste. Ein maskulin aussehender Eingeborener setzt sich vor den Eingang der Bar, telefoniert, trinkt irgendetwas und streut ein paar Kekskrümel auf den Tisch, was mehrere Sperlinge anlockt, die sich zu ihm auf den Tisch setzen und mitmümmeln.

An der Côte Sauvage rollt eine Welle nach der anderen rollt auf die Küste zu, in der Regel auch bei schönemWetter

An der Côte Sauvage rollt eine Welle nach der anderen rollt auf die Küste zu, in der Regel auch bei schönemWetter

La Côte Sauvage – ein Muss

Anschließend gehen wir noch etwas spazieren und fahren dann in Richtung Côte Sauvage. Wir gelangen auf eine schmale Küstenstraße mit Aussichtspunkten und aufregenden Ausblicken. Nach ausgiebiger Betrachtung der gewaltigen Wellen, die an diesen wilden Küsten meist auch bei absolut ruhigem Wetter gegen die Küstenfelsen branden, fahren wir weiter nach Portiwy, wo wir uns in ein unmittelbar am Hafen gelegenes Café begeben. Wir trinken in der prallen Sonne Kaffee, fahren anschließend in einen Super U einkaufen, tanken und kehren nach Hause zurück.

Ich mache mit dem Hund den vorletzten Spaziergang, Albert sitzt in der Abendsonne auf der Terrasse des Gartens und unterhält, ein Gläschen Weinchen trinkend, musikalisch die Damen, die sich um die Zubereitung des Abendessens kümmern: Austern, Crevetten und gedünsteter Lachs im Gemüsebett. Anschließend spielen wir Doppelkopf. Ich verliere wieder.

Das

Das „Amiral“ in Concarneau

Dreiundzwanzigster Tag, 09. Oktober 2015

Am heutigen Tag steht Concarneau auf dem Plan. Wir sind nach den Beschreibungen von Bannalec in gespannter Erwartung dessen, was wir vorfinden, ob es unserer von dem Autor veranlassten Vorstellung entsprechen würde. Das Wetter ist wunderbar, sonnig und warm. Wir erreichen gegen Mittag den Bereich um die Zitadelle mit der Altstadt und können vorläufig keinen Parkplatz finden, weil – richtig – weil gerade Markttag ist. Wir müssen viel Geduld aufbringen, bis sich schließlich in einem eigentlich abgesperrten Bereich eine Möglichkeit bietet, das Auto abzustellen.

Zu unserer grenzenlosen Enttäuschung ist das berühmte Restaurant „Amiral“ zur Zeit unserer Ankunft bis auf den letzten Platz besetzt, zudem ersticken die vor dem Restaurant auf einen Tisch wartenden Menschen jegliche Hoffnung im Keim, dass sich das in einem überschaubaren Zeitraum ändern könnte. Also setzen wir uns in den Außenbereich eines ebenfalls sehr gut besetzten anderen Restaurants mit Blick auf die Zitadelle beziehungsweise Ville Close und bestellen lediglich einen Milchkaffee. Der Ausblick wird von Minute zu Minute besser, weil die Marktleute dabei sind, ihre Stände abzubauen. Anschließend brechen wir auf, die Ville Close und die in ihr befindliche historische Altstadt zu besichtigen. Wir müssen nur die Straße überqueren, um auf die Brücke zu gelangen.

Der Anblick der Hauptstraße enttäuscht uns, weil das gesamte Viertel ausschließlich auf Tourismus ausgerichtet ist. Wir haben den Eindruck von Königswinter in der Nachsaison. Sicher ist eine solche Feststellung unfair, leben doch die Menschen hier zu einem Großteil vom Tourismus. Ganz generell neigt ja der Industriebürger dazu, die Einfachheit der Lebenumstände anderer bis hin zum Elend als romantisch oder malerisch zu empfinden. Wir besichtigen dennoch die Ville Close, erklettern die Schutzmauer und gelangen auf einen Hügel auf der Festungsinsel.

Um die Ecke, da wo sich Petra und Goya befinden, geht’s rein in die Altstadt

Um die Ecke, da wo sich Petra und Goya befinden, geht’s rein in die Altstadt

Anschließend kehren wir zum Auto zurück, welches sich ohne Strafzettel oder Wegfahrsperre noch immer an derselben Stelle befindet, und brechen in Richtung Pont-Aven auf, der Stadt der bretonischen Verhältnisse.

Toilettenhäuschen in Pont-Aven, ursprünglich vermutlich als Plumpsklo mit Abgang in den Aven konzipiert

Toilettenhäuschen in Pont-Aven, ursprünglich vermutlich als Plumpsklo mit Abgang in den Aven konzipiert

Ganz langsam beginnen Wolken die Szenerie zu bedecken. An einem Strand in unmittelbarer Nähe von Concarneau machen wir kurz Halt, um Goya ein wenig toben zu lassen. Die Damen gehen sofort wieder auf Muschelsuche. In Pont-Aven angekommen identifizieren wir sofort das im Roman beschriebene kleine Künstlerstädtchen, das wir uns ohne Zögern als weiteren Wohnsitz auserkiesen.

Malerische Szene

Wir sehen uns in Pont Aven um und finden am Place Gauguin Nummer fünf die berühmte Pension Gloanec. Ab dem Jahr 1860 waren immer mehr Künstler nach Pont-Aven gereist, um hier besondere Motive in besonderem Licht für ihre besonderen Bilder zu finden. Der bekannteste unter ihnen war Paul Gauguin, der die Leitung der Künstlergruppe und der Schule von Pont-Aven übernommen hatte. Die Pension Gloanec diente Gauguin, Sérusier, Maufra et cetera fortan als Basis für ihr künstlerisches und soziales Leben. Wir besichtigen den „Rest“ des Städtchen und begeben uns dann in das Restaurant Moulin du Grand Poulguin, dessen Terrasse mit malerischem Ausblick direkt am Aven liegt. Trotz der schleichend aufkommenden Kälte setzen wir uns auf die Terrasse und werden wieder einmal freundlich und aufmerksam behandelt.

Der Zugang zum Innenhof des Château-de-Bélon

Der Zugang zum Innenhof des Château-de-Bélon

Am Bélon

Nach einem kleinen Imbiss veranlasst uns aufforderndes Murren der Damen zur Weiterfahrt zum Bélon. Bélon-Austern seien ein Muss, heißt es. Nach einer etwas aufwändigeren Suchaktion wegen ständiger Einreden zwecks optimierter Routenfindung gelangen wir endlich nach Port-de-Bélon. Auf der abschüssigen Straße können wir auf einem Parkplatz das Auto abstellen und zu Fuß weitergehen. Sofort entdecken wir das „Château“. Man muss wissen, dass es sich dabei nicht um ein Schloss im herkömmlichen Sinne handelt. Links betreten wir einen Innenhof, der sich exakt so darstellt, wie in „Bretonischer Stolz“ beschrieben. Ein Mann mittleren Alters kommt auf uns zu und stellt sich als François de Solminiac vor. Er ist der Herr der Austern im Château. Wir erklären ihm, wie und warum wir hierhergekommen sind. Solminiac und seine Mitarbeiterin Natalie Olivier lachen und erzählen, wie Bong alias Bannalec hier aufgetaucht sei, um für seinen Roman die Lokalität und die geplanten Szenen zu recherchieren.

Austernsäcke im Aven werden langsam von der einsetzenden Flut bedeckt

Austernsäcke im Aven werden langsam von der einsetzenden Flut bedeckt

Da Solminiac wenig Zeit hat, verabreden wir ein weiteres Treffen am 14. Oktober, welches dem Zweck dienen soll, möglicher Weise in Bonn einen Bélon-Austern-Club zu gründen, weil er mit Hilfe seiner Cousine, die in Bad Honnef lebt, Bélon-Austern einen besseren und weiteren Bekanntheitsgrad verschaffen will. Wir halten das für eine ausgezeichnete Idee davon ausgehend, dass ganz bestimmte Freunde mit Freuden mitmachen würden. Das sollte sich später als Irrtum erweisen.

In der Gewissheit, noch einmal hierher zu kommen, besichtigen wir lediglich den Bereich um das Fischrestaurant und den Betrieb von Anne von außen. Der Blick über die Bucht hin zum Meer, ebenfalls im Buch beschrieben, löst seltsam beruhigende Gefühle aus. Anschließend kehren wir zurück nach St.-Gildas, wo das übliche Procedere stattfindet.

Die Brücke durch die Porte Poterne, einer der Zugänge in die Altstadt von Vannes. Rechts, direkt am Flüsschen Marle das Waschhaus

Die Brücke durch die Porte Poterne, einer der Zugänge in die Altstadt von Vannes. Rechts, direkt am Flüsschen Marle das Waschhaus

Vierundzwanzigster Tag, 10. Oktober 2015

Endlich, Markt in Vannes! Wieder einmal quälen wir uns besonders früh aus den Kojen. Auf das übliche Frühstück verzichtend nehmen wir eine kleine Stärkung mit auf den Weg. Weil wir ja gelernt haben, suchen wir ohne Umwege einen Parkplatz an der beeindruckenden Stadtmauer. Es ist ein postkartengerechter Anblick, wundervoll kitschig. Über eine kleine Brücke namens Rue Porte Poterne betreten wir die Altstadt von Vannes, deren Zentrum ein einziger Markt zu sein scheint. Silvia und Petra verschwinden umgehend in der Markthalle „Halle de Lices“. Dort scheint es auf einem konzentrierten Areal alles zu geben, was das Herz begehrt. Albert und ich nehmen das Gelände an der Stadtmauer außen in genaueren Augenschein.

Nach unserer Rückkehr lässt sich Albert unter dem Vorwand, die Frauen suchen zu wollen, ebenfalls von der Markthalle verschlucken. Weil ich in Begleitung meines Hundes bin, muss ich leider draußen bleiben und warten. Ich sitze also auf einer Bank vor der Halle und werde Goyas wegen immer wieder angesprochen, zumeist von jungen Frauen. Ein Glück, manchmal auch schade, dass sie nicht mich streicheln wollen. Ein älterer Mann kommt auf mich zu: „Oh, un Berger Belge, un Tervueren. Comme il est dévot. Bravo!“ Der Mann kennt sich offenbar aus. Nur das Wörtchen „dévot“ stört mich, bis ich erfahre, dass dies insbesondere im Zusammenhang mit Hunden die Unterordnung unter den Hundeführer, in diesem Falle also mich, bedeutet. Endlich treten Petra, Silvia und Albert wieder ins Freie Anschließend schwärmen wir paarweise getrennt aus, um möglichst viel sehen zu können.

In der Fischhalle: Eine kapitale Languste wird von zarter Hand unbarmherzig festgehalten

In der Fischhalle: Eine kapitale Languste wird von zarter Hand unbarmherzig festgehalten

Reiche Beute

Kurze Zeit später kommen uns Silvia und Albert wieder entgegen, die erfolgreich ein paar Ohrringe aus Jade erstanden haben. Zu guter Letzt entdecken wir die Fischmarkthalle. Hier ist viel los. Wir können sogar den Hund mitnehmen – der Fisch fiest sich vor nichts. Allerlei Getier ist zu entdecken, das sich normaler Weise im Atlantik herumtreibt. Letztlich sind Steinpilze und Jakobsmuscheln in ihren Schalen die kulinarische Ausbeute des Marktbesuches. Um uns aufzuwärmen, begeben wir uns in ein stark frequentiertes Café direkt am Marktplatz und haben großes Glück. Wir ergattern einen Platz für vier Menschen zuzüglich Hund, trinken Milchkaffee und essen sämtliche noch angebotenen Croissants weg. Dergestalt energetisiert stürzen wir uns nochmals in das Marktgeschehen. Das zeigt inzwischen deutliche Auflösungserscheinungen. Die Transporter drängen rücksichtslos zu ihren Ständen. Es ist eng.

Nichts geht mehr. Rücksichtslos drängen die Marktbeschicker mit ihren Lieferwagen zwischen den Marktständen hindurch

Nichts geht mehr. Rücksichtslos drängen die Marktbeschicker mit ihren Lieferwagen zwischen den Marktständen hindurch

Es wird Zeit, sich mit den Einkäufen nach Hause zu begeben. Albert und ich machen uns mit Goya auf den Weg zum Meer, damit dieser sich noch ein wenig verausgaben kann. Ein solcher Markttag ist für so einen Hund nicht gerade ein artgerechtes Highlight. Die beiden Damen halten Siesta, die erst nach unserer Rückkehr beendet wird. Dann machen sich die Beiden auf nach St.-Gildas, um schnell noch beim Spar so unerlässliche Dinge wie Würfel, neue Spielkarten und Wein einzukaufen. Ach ja, auch Baguette muss besorgt werden.

Ein Schlachtfest

Nach unserer Rückkehr ist es so weit. Die Schlachtung der Jakobsmuscheln steht an. Silvia und Albert, die so etwas noch nie getan haben, wollen das von Petra, die so etwas schon oft getan hat, lernen und stehen an der Spüle bereit. Ich fotografiere das Gemetzel zwar, will aber aus ästhetischen Gründen nicht alle Bilder zeigen. Es gibt kaum etwas Schlimmeres, als Anfänger-Schlachtungen. Daher ist hier nur ein einziges Bild zu sehen. Es ist gerade noch so vertretbar. Einige der Augen der Muschel sind deutlich zu erkennen.

Deulich sind die Augen der Jakobsmuschel zu erkennen

Deulich sind die Augen der Jakobsmuschel zu erkennen

Die Jakobsmuschel

Ganz grundsätzlich ist für mich persönlich der Akt der Tötung von Jakobsmuscheln eine recht zwiespältige Angelegenheit aus dem folgenden Grund: Verschiedenen Abhandlungen über Kammmuscheln, zu denen ja die Jakobsmuscheln gehören, konnte ich entnehmen, dass es sich bei diesen um die einzigen Muscheln handelt, die in der Lage sind, vor Fressfeinden wie Seesternen oder Steinbeißern zu fliehen. Sie bewerkstelligen das mit Hilfe ihrer Schalen, die sie wie die Flügel eines Schmetterlings auf- und zuklappen, um sich auf diese Weise, sozusagen durch das Wasser flatternd, fortzubewegen. Jetzt kommt’s: Sie können ihre Feinde tatsächlich sehen! Sie besitzen am Mantelrand rund hundert stecknadelkopfgroße, tiefblaue Augen, die nebeneinander aufgereiht sind. Das bedeutet, dass diese Muscheln über so etwas wie ein zentrales Nervensystem verfügen. Jedenfalls habe ich persönlich beim Durchschneiden des großen Muskels und der Öffnung der zuvor fest verschlossenen Schalen ein ganz schlechtes Gewissen, welches noch schlechter wird, wenn mich die Blicke aus gebrochenen blauen Augen direkt in die Seele treffen. Gott sei Dank ist mein Gewissen wieder gut, wenn der Duft der gebackenen oder gebratenen Muscheln in meine Nase steigt.

Da in unserer Behausung hier in St.-Gildas kein Kochtopf zu finden ist, der groß genug wäre, wickeln wir die Artischocken in Alufolie und legen sie in den vorgeheizten Backofen. Für die Jakobsmuscheln wird in einer Pfanne ein Fonds aus Olivenöl, rosa Zwiebeln, Knoblauch, Chili, Pfeffer und einem ordentlichen Schuss Weißwein angesetzt. Nach dessen Reduzierung kommt etwas Butter hinzu. Ist alles miteinander vermischt, wird das Fleisch der Jakobsmuscheln hineingelegt. Man lässt es bei starker Hitze nur ganz kurz leicht anbräunen. Anschließend sorgen in Hälften geschnittene Kirschtomaten für die Säure und zusätzliche Flüssigkeit. Dann wird das ganze gesalzen, fertig. Serviert werden die Jakobsmuscheln mit Baguette. Silvia probiert und zeigt keine der von ihr befürchteten allergischen Reaktionen. Allerdings isst sie alternativ Sardinen. Die Artischocken haben wir schon vorher vertilgt. Cidre und Wein runden das Abendessen ab.

Danach spielen wir Kniffel spezial. Das ist ein Spiel, welches ich persönlich nie gewinne. Es geht ja darum, vier verschiedene Kniffelarten in einem zu spielen: Normal, von unten, von oben und im ersten Wurf. Es fängt bei mir damit an, dass ich mich anfangs falsch entscheide, anschließend den Überblick verliere und dann immer kein Glück habe. Ganz zum Schluss kommt auch noch Pech dazu. Kurzum, das Spiel verarbeite ich kurz nach Mitternacht auf dem Spaziergang mit Goya.

St.-Auray - wieder mal eine Stadt wie leer gefegt

St.-Auray – wieder mal eine Stadt wie leer gefegt

Fünfundzwanzigster Tag, 11. Oktober 2015

Eigentlich haben wir heute, am Samstag, einen ruhigen Tag eingeplant. Nach einem reichhaltigen Frühstück beschließen wir, in das historische Städtchen Auray zu fahren. Von Herrn Baedecker wurden wir darauf hingewiesen, dass dies eine touristische Notwendigkeit sei. Wie sich herausstellt, ist Auray an diesem Tag völlig menschenleer. An der im Jahr 1641 erbauten Kirche St.-Gildas stellen wir das Auto ab.

Gildas – ein bemerkenswerter Mensch

Wie einige andere Kirchen wurde auch diese nach dem später heilig gesprochenen Gildas dem Weisen benannt. Der war offensichtlich eine herausragende und erstaunliche Persönlichkeit, die weder weltliche noch kirchliche Machthaber fürchtete und bereits Mitte des siebten Jahrhunderts treffliche Schelte verteilte. Überliefert sind Aussagen wie „Britannien hat Könige, doch sind sie Tyrannen, und Richter, doch sind sie pflichtvergessen“, oder „Britannien hat Priester, aber sie sind Narren, viele Geistliche, aber sie sind schamlos, Kleriker, aber sie sind verschlagene Plünderer“. Uns war dieser bemerkenswerte Mann vor unserer Reise in die Bretagne kein Begriff gewesen.

Das Mittelschiff in der Kirche St.-Gildas in Auray

Das Mittelschiff in der Kirche St.-Gildas in Auray

Die Kirche St. Gildas ist wegen ihrer unterschiedlichen Bauabschnitte ein interessanter Stilmix. Am Südportal zeigt sie Renaissance-Merkmale, in der Kirche ruhen gotische Arkaden auf dorischen Säulen, das Marmorretabel ist barock. In der Kirche befindet sich eine lebensgroße Skulptur des liegenden, vom Kreuz abgenommenen Jesus.

Im Hafen von Auray

Weil das Städtchen Auray um die Kirche herum völlig ausgestorben und trostlos wirkt, ergreifen wir nach der Kirchenbesichtigung etwas gefrustet die Flucht und suchen nach dem in höchsten Tönen gepriesenen Hafen von Auray. Der ist nicht so einfach zu finden, bis wir feststellen, dass er unter einem anderen Namen firmiert: St.-Goustan. Logischerweise geht es den Berg hinab und endlich, da ist er. Es sind ziemlich viele Menschen unterwegs, so dass sich die Suche nach einem Parkplatz schwierig erweist. Dann klappt auch das.

Der Hafen von Auray in St. Goustan

Der Hafen von Auray in St. Goustan

Hier hat Geschichte stattgefunden: Benjamin Franklin, Multitalent und zu diesem Zeitpunkt, kurz nach Ausbruch des US-amerikanischen Freiheitskampfes gegen England, war als Diplomat mit dem Schiff unterwegs zu Verhandlungen mit der französischen Regierung und konnte wegen eines Sturmes nicht den eigentlichen Zielhafen Nantes erreichen, sondern war gezwungen, am vierten Dezember 1776 in Auray-St.-Goustan an Land zu gehen. Erst von hier aus setzte er nach ein paar Übernachtungen seine Reise nach Nantes und Paris in einer Kutsche fort. (Wie allgemein bekannt sein dürfte, war sein Wirken in Paris letztlich von Erfolg gekrönt, haben doch die Amerikaner den Sieg über England der militärischen Intervention Frankreichs vor Ort zu verdanken.) Am Place St.-Sauveur ist das Haus zu bestaunen, in welchem Franklin übernachtet hatte.

Hier war Benjamin Franklin untergekommen, bis er weiterreichen konnte

Hier war Benjamin Franklin untergekommen, bis er weiterreichen konnte

An nämlichem Platze gibt es ein Restaurant, das „Bistrot du Port“, in welchem wir von einem Flüchtling aus Bergisch-Gladbach bedient werden. Er erzählt, dass er von Jahr zu Jahr in verschiedenen Restaurants, Bars oder Bistros in ganz Frankreich anheuert – ein zweifellos interessantes Vagabundenleben. Anschließend besichtigen wir den Bereich rund um den Platz. Er liegt an einer niedrigen Steinbrücke, gesäumt von schönen, gut erhaltenen Häusern aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert.

Ein ganz besonderes Gericht

Auf unserem Rückweg suchen wir nach einem Strand für Goya. Bei Larmor-Baden können wir ihn schließlich nach mehreren Fehlversuchen im Wasser toben lassen, beobachtet von einem fremden grauen Tervueren, der nur zu gerne mitgespielt hätte. Aber Goya ist in solchen Fällen gnadenlos selbstsüchtig.

Silvia (hinten) und Albert (vorne) in entspannter Harmonie

Silvia (hinten) und Albert (vorne) in entspannter Harmonie

Ich werde langsam hungrig und Goya muss sein Schwimmfestival beenden. Im Ferienhaus wird gekocht und Albert freut sich auf seine geliebten Nudeln. Es gibt nämlich Spaghetti mit Steinpilzen und Pinienkernen sowie dem unvermeidlichen Baguette. Heute wollen sich die Frauen verwöhnen lassen.

Ich gehöre nicht zu der Sorte Mann, die den Umstand, einmal (ausnahmsweise) gekocht zu haben, zum Dauerthema macht. Ebenso hasse ich Eigenlob. Deshalb will ich nur ganz ganz kurz etwas zu den göttlichen Steinpilzen, die ich an diesem Abend zubereitet habe, rezeptmäßig sagen: Die Pilze werden mit einer Bürste – ohne Wasser, also trocken – gesäubert, von verwurmten Stellen befreit und grob mit einer Kantenlänge von etwa zwei Zentimetern gewürfelt. Die Steinpilzwürfel kommen in eine Schüssel und werden beiseite gestellt. Anschließend entledige ich zwei Roscoff-Zwiebeln ihrer Schalen und schneide sie sehr klein. Die Zwiebelwürfelchen gebe ich umgehend in eine hochrandige Pfanne mit ordentlich (sehr gutem) Olivenöl, in welchem ich sie auf kleiner Flamme längere Zeit ziehen lasse. Sie dürfen keinesfalls braun werden. Dann schäle ich fünf ausgewachsene, frische Knoblauchzehen und schneide sie in feine Scheiben. Zusammen mit klein gehackten Pinienkernen und den Zwiebeln lasse ich sie ziehen. Anschließend wird der Sud gesalzen und gepfeffert. Hinzu kommt ein kleiner, ein wirklich kleiner Spritzer dunklen Balsamicos. Im Mörser zerkleinere ich je nach Schärfe-Gusto kleine, getrocknete Chilischoten und mische sie unter. Die Zwiebeln machen den Sud sämig. Jetzt kommen die Steinpilzwürfel hinein, die ich kurz vorher ebenfalls gesalzen und gepfeffert habe. Anschließend werden sie auf großer Flamme gegart. Man muss höllisch aufpassen, dass nichts anbrennt. Die Spaghetti brauchen nicht lange. Wir schwelgen und trinken dazu einen Les Pouges Blanc von Leyris Mazière (Gilles et Odile Leyris) aus dem Languedoc, den wir aus Bonn mitgebracht haben.

Zur Belohnung dürfen Albert und ich uns nach Essen und Aufräumen das Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft, Deutschland gegen Georgien, ansehen. Ein müdes Zwei zu Eins springt am Ende heraus. Silvia und Petra sitzen währenddessen an den Notebooks mit gelegentlichen Schlafpausen. Unvollendete Planspiele für den kommenden Tag begleiten uns auf den Hundespaziergang und in die Kojen.

Sechsundzwanzigster Tag, 12. Oktober 2015

Die Nacht ist hart. Silvia und ich können nur in Etappen schlafen. Verantwortlich hierfür sind die Schnarch-Attacken von Petra und Albert. Petra ist so laut, dass selbst Silvia sie eine Etage tiefer, das Konzert von Albert untermalend, hören kann. Was soll erst ich da sagen mit meinem in unmittelbarer Nähe der Lärmquelle schwebenden Ohr. Später hat mir eine Freundin diesbezüglich den Tipp gegeben, mich umgekehrt ins Bett zu legen. Bei ihr funktioniere das, sie fühle sich seither von ihrem Manne nicht mehr so belästigt. Ich habe das ausprobiert und tatsächlich, so kann man es durchaus aushalten. Jedenfalls, am Morgen um halb acht wird so oder so jegliche Aussicht auf ein wenig Schlaf zur Makulatur, als in der Nachbarschaft mindestens drei Rasenmäher ziemlich zeitgleich loszuröhren beginnen.

Eigene Erfindung: Ein Eierpicker aus Weinkorken und Nähnadel - McGuyver lässt grüßen

Eigene Erfindung: Ein Eierpicker aus Weinkorken und Nähnadel – McGuyver lässt grüßen

Mangelnder Schlaf unterstützt Silvias und meinen Vorschlag, heute endlich zu faulenzen. Wir nehmen ein stark verfrühtes Frühstück gegen zehn Uhr ein. Ganz nebenbei erfinden wir als Folge zerstochener Fingerkuppen einen Eierpicker. Die Löcher in die zu kochenden Eier haben wir bis Dato mit Hilfe einer Nähnadel gestochen. Die fingerschonende Erfindung sieht folgendermaßen aus: Wir nehmen uns einen Weinkorken vor, schneiden ihn auf die Länge der Nähnadel minus vier Millimeter zu und stechen diese von der einen Seite des zugeschnittenen Korkens zentral angesetzt bis zum Ende durch. Die Nadel, weil ja vier Millimeter länger als der Korken, steht anschließend diese vier Millimeter auf der anderen Seite über und erfüllt ihren Zweck ganz hervorragend, ohne die Finger jemals wieder zu verletzen. Zum Eierpicken wird der Korken einfach auf eine stabile Fläche mit der Spitze nach oben gestellt und das Ei von oben angestochen.

Neue Waschmaschine

Für elf Uhr hat sich Madame L. zwecks Anlieferung einer neuen Waschmaschine angemeldet. Damit haben wir nicht mehr gerechnet. Albert und ich flüchten auf die Sonnenliegen. Die Frauen testen die Waschmaschine.

In der Sonne trocknen

In der Sonne trocknen

Anschließend suchen wir uns auf der Karte ganz in der Nähe von St.-Gildas einen Strand, an welchem wir ein wenig spazieren gehen und den Hund toben lassen können. Gefunden haben wir den Plage du Roaliguen. Er ist zwar nicht das, was man sich unter einem Traumstrand vorstellt. Steinig und naturbelassen liegt er sehr schön am Rand eines ausgedehnten Kiefernwaldes. Der wurde mit Stacheldrahtzäunen vor dem Betreten geschützt. Wir vermuten, dass dies mit dem dortigen Camping- und Caravan-Platz-Betrieb in der Hauptsaison zusammenhängt. Höchstwahrscheinlich werden die Betreiber des Platzes und die Kommune selbst so ihre einschlägigen Erfahrungen gemacht haben. Der Strand ist offenbar auch Ausgangspunkt für Touren von Klein-Katamaranen und Windsurfern.

Der Kiefernwald am Strand ist mit Stacheldraht vor ungezogenen Campern geschützt

Der Kiefernwald am Strand ist mit Stacheldraht vor ungezogenen Campern geschützt

Wie immer suchen die Frauen Muscheln. Wind und Wetter sind äußerst angenehm. Nachdem sich Goya ausgetobt hat und wir einen kleinen Spaziergang den Strand lang unternommen haben, fahren wir nach St.-Gildas. Wir schaffen es, uns einen Platz in der Crèperie d’Antan zu reservieren, um dort später unser Abendessen einzunehmen.

Das älteste Kloster der Bretagne

Dann machen wir uns auf, die Klosterkirche am Marktplatz von St.-Gildas zu besuchen, ein Vorhaben, welches wir bislang sträflich vernachlässigt haben. Denn wie wir in Erfahrung bringen, handelt es sich bei der gesamten Anlage um das älteste Kloster der Bretagne. Es wurde von Gildas um das Jahr 530 gegründet und hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Anfangs prosperierte das Kloster, so dass es vierhundert Jahre später von mehreren hundert Mönchen bevölkert worden sein soll. Zu Beginn des zehnten Jahrhunderts allerdings zerstörten in die Bretagne einfallende Normannen das Kloster vollständig. Im Jahr 1032, nach vierundzwanzig Jahren Bauzeit, wurde es vom Bischof von Vannes wieder eröffnet.

In der Kirche des St.-Gildas

In der Kirche des St.-Gildas

In den darauf folgenden Jahrhunderten bestimmten viele Auf- und Abwärtstrends das Klosterleben. Das Kloster überlebte die französische Revolution. Im Jahr 1824 schließlich wurde das Kloster von privater Seite erworben und ein Jahr später übernahmen die Soeurs de la Charité de Saint-Louis den Ordensbetrieb.

Nach Kirchen- und Friedhofsbesichtigung setzen wir uns in unser Stammcafé, das Café de la Place. Wir warten darauf, in die Crèperie zu können. Dort sind Crèpes und Cidres wie üblich ganz hervorragend. Wir wanken nach Hause. Albert und ich gehen um Mitternacht wie üblich mit dem Hund zum Meer.

Siebenundzwanzigster Tag, 13. Oktober 2015

Der Morgenspaziergang mit Goya ist heute bemerkenswert, weil ich an diesem Tag außergewöhnlich viele Singvögel sehen und belauschen kann. Leider habe ich das falsche Kamera-Equipment bei mir, zudem sind die Vögel für mich am frühen Morgen noch zu flink, so dass ich mit Ausnahme eines Rotkehlchens keine einigermaßen attraktiv erwischen kann. Ebenfalls dokumentiere ich endlich einige der subtropischen Pflanzen, die hier wachsen.

Ein letztes Mal in Vannes

Den Ankündigungen im Internet können wir entnehmen, dass am heutigen Tage in der Fischhalle von Vannes großer Fischmarkt sein soll. Wir erleben jedoch eine herbe Enttäuschung. In der gesamten großen Halle bietet nur (noch) ein einziger Fischhändler seine Ware feil, obwohl die Öffnungszeiten etwas anderes versprechen. Wir versuchen, das Beste aus dem Tag zu machen und wissend, dass es unser letzter in Vannes ist, flanieren wir in der Altstadt. Schließlich trennen wir uns – Albert und ich erkunden die Stadtmauer außerhalb der Altstadt, die Damen wollen sich nach Postkarten und anderen anachronistischen Kommunikationsmitteln umsehen.

Zwei junge Leute in der alten Wäscherei von oben gesehen

Zwei junge Leute in der alten Wäscherei von oben gesehen

Ein Treffpunkt

Uns fällt auf, dass aus der alten Wäscherei Musik ertönt. Wir gehen nachsehen und entdecken in allen möglichen der verwinkelten Ecken junge Leute, Mädchen und Jungens, die dort unten sitzen, die einen händchenhaltend, manche rauchend, Cola trinkend, wieder andere Hausaufgaben machend, alle sich von der Musik aus Ghettoblastern berieseln lassend, sich ob unserer Erscheinung kein bisschen wundernd. Es handelt sich offenbar um Schüler, die diese Treffen ritualisiert nach der Schule verabreden – im Dunkeln ist gut Munkeln! Wir erinnern uns an unsere Schulzeit und schmunzeln.

Wir schauen uns noch in der parkähnlichen Anlage am Fuße der Stadtmauer um. Am Horizont färbt sich der Himmel dunkelgrau – zusammen mit dem Sonnenlicht eine faszinierende Kombination. Es scheint sich ein Unwetter anzukündigen. Anschließend treffen wir die Damen wieder. In einem kleinen Fischgeschäft bleiben wir hängen. Das hatten wir vorher im Angesicht der gegenüberliegenden Fischhalle glatt übersehen. Wir kaufen ein, was wir für eine Bouillabaisse benötigen: Thunfisch, Krebsscheren, Lotte, Merliac, inklusive Jakobsmuscheln sowie Karkassen und Fischköpfe für den Fond.

Mit oder ohne Schale?

Mit oder ohne Schale?

Wo sind die Jakobsmuscheln?

Nach einem schnellen Kaffee kehren wir umgehend in unser Ferienhaus zurück und stellen dort fest, dass die Jakobsmuscheln fehlen. Nach hektischen Überlegungen, wie wir jetzt noch an Jakobsmuscheln kommen, stellt sich allerdings heraus, dass sie doch da sind, nur ohne Schalen. Der Fischhändler hatte das Muschelfleisch, von uns unbemerkt, in affenartiger Geschwindigkeit ausgelöst und verpackt. Wir diskutieren noch ein wenig darüber, ob der Kauf einer Jakokobsmuschel juristisch betrachtet die Muschelschalen als Produktmerkmal beinhalten müsse und kommen zu dem Ergebnis, das nächste Mal besser aufzupassen.

Afrikanische Impression

Afrikanische Impression

Wir bereiten die Fischsuppe vor und fahren dann an den Plage de Kerver, um Goya körperliche Aktivität zu gönnen. Während nach unserer Rückkehr Silvia und Petra die Bouillabaisse fertigmachen, gehen Albert und ich mit Goya am Meer entlang, dieses Mal in Richtung Westen. Ich halte malerische Szenen mit der Kamera fest.

Nach unserer Rückkehr verputzen wir die wieder einmal köstlich geratene Fischsuppe, spielen Doppelkopf (ich verliere schon wieder) und machen um Mitternacht unseren Spaziergang mit Goya.

Achtundzwanzigster Tag, 14. Oktober 2015

In dem Bewusstsein, dass mit dem heutigen und vorletzten Tag der vermutlich anstrengendste des gesamten Urlaubs anstehen wird, erheben wir uns sehr früh aus unseren Betten – statt um zehn Uhr um neun Uhr des Morgens. Wir haben geplant, zuerst nach Quimper zu fahren und uns anschließend in Port de Bélon mit Natalie Olivier und François de Solminiac zwecks Besprechung der bereits erwähnten Gründung eines Bélon-Austern-Clubs in Bonn zu treffen.

Die mächtige Cathédrale St.-Corentin

Die mächtige Cathédrale St.-Corentin

Bezüglich Quimper, der Hauptstadt des Départements Finistère mit immerhin rund fünfundsechzigtausend Einwohnern, haben wir großartige Erwartungen. Wir sind allerdings so dumm, völlig unvorbereitet loszufahren. Und in Anbetracht der Größe der Stadt im Zusammenspiel mit der zur Verfügung stehenden Zeit ist Quimper für uns eine Enttäuschung.

Eigenartiges Erlebnis

Aber ich will von vorne beginnen: Nach der recht langen, knapp zwei Stunden lang dauernden Fahrt parken wir das Auto direkt am Fluss Odet und wenden uns der Altstadt zu, die wir anhand der beiden alles überragenden Türme der Cathédrale Saint Corentin am Place Saint Corentin identifizieren können. Dort lassen wir uns erst einmal auf der Terrasse des Café du Finistère nieder, um einen freien Blick auf die Kathedrale – ein großartiger Anblick – zu haben. Albert und Silvia begeben sich sofort in die Kirche. Petra und ich wollen nachkommen, uns jedoch erst einmal mit einem heißen Café au Lait aufwärmen. Bereits fünf Minuten später stehen unsere beiden Freunde vor uns, das Mienenspiel eine Mischung aus Belustigung und Ärger: „Die haben uns rausgeschmissen. Die machen bis drei Mittagspause!“ So kommen Silvia und Albert nicht darüber hinaus, in der Kirche eine Kerze anzuzünden und diverse Informationsmaterialien zusammenzuraffen. Die geplante Besichtigung der Kathedrale fällt aus. Unserer Stimmung ist das nicht zuträglich. Quimper sinkt in unserer Bewertung ins Bodenlose. Heimweh nach Vannes macht sich in mir bemerkbar. Albert sieht das alles natürlich ganz anders. Außer beim Doppelkopf kann er niemandem weh tun, nicht mal einer Stadt. Wir beschließen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Petra erinnert sich an Bannalecs Beschreibung des in der Altstadt gelegenen Geschäftes mit den originalen Laguiole-Messern. (Man sollte dazu wissen, dass der Begriff „Laguiole“ nicht geschützt ist. Also wird unter diesem Namen ungeheuer viel Schrott verkauft. Auf den Märkten in der Bretagne wurden ganze Laguiole-Messersets für zwanzig Euro angeboten. Bei diesen handelt es sich in der Regel um Ware aus Ostasien mit angeblichen Laguiole-Markenzeichen)

Viele nette Ecken lassen hoffen

Viele nette Ecken lassen hoffen

Wir finden das Geschäft und – es ist fest verschlossen. So können wir die begehrte Ware nur durch das Schaufenster begutachten. Auf unserem Spaziergang durch die Altstadt kommen wir mit einem Touristenpaar aus Lutetia ins Gespräch, das ebenfalls etwas hilflos wirkt und Gefühle beschreibt, die den unseren ähneln. Immerhin finden wir doch noch ein paar nette Örtlichkeiten, die für die Zukunft hoffen lassen.

Jedoch, die Stadtmauer und andere mit Sicherheit in der Umgebung auf Bewunderung wartende Sehenswürdigkeiten wollen wir erst gar nicht mehr sehen. Wir beschließen, sofort weiter nach Port de Bélon zu fahren und Quimper im kommenden Jahr erneut aufzusuchen, diesmal jedoch vorbereitet. Wir haben nämlich Anfang des Jahres 2016 für die Dauer von zwei Wochen im September 2016 in der Nähe von Penmarch ein Ferienhaus gebucht. Penmarch liegt gerade mal fünfzehn Kilometer von Quimper entfernt. Auf dem Weg zum Bélon machen wir einen kleinen Umweg zum Meer, um Goya toben zu lassen.

Das Arbeitshaus des Château de Bélon, zugleich Umschlagfoto von „Bretonischer Stolz“

Am Château

Nach unserer Ankunft in Port de Bélon wartet die nächste Enttäuschung auf uns: Weder Natalie Olivier noch François de Solminiac sind anwesend. Ein wichtiger Termin habe ihr Dasein verhindert. Das ist nicht zu ändern. Immerhin scheint die Sonne und wir haben Zeit. So besichtigen wir nunmehr die Örtlichkeit ausgiebig. Auf diese Weise finden wir das Gebäude, das als Motiv für den Titel des Kriminalromanes „Bretonischer Stolz“ dient. Wir treffen auf die in dem Buch beschriebenen Arbeitssituationen, wir sehen den grün-roten Traktor, mit dessen Hilfe die gerade an Land gebrachten Austern in Plastikkörben in das Château transportiert werden. Wir sehen auch die Austernbänke – der Wasserstand ist noch ziemlich niedrig.

Die Austern werden in Kisten mit dem Traktor zum Wässern abtransportiert

Die Austern werden in Kisten mit dem Traktor zum Wässern abtransportiert

Nach unserer Besichtigung setzen wir uns an einen der Tische am Bélon gegenüber des Châteaus mit dem geahnten Blick auf den Zusammenfluss von Bélon und Aven, von denen der hintere Tisch Kommissar Dupin und seinen Mitarbeitern als Arbeitsplatz im Freien gedient hat. Endlich verkosten wir Austern. Wir bestellen zwölf huitres creuses und dreißig huitres plates zuzüglich eines Liters Muscadet und Graubrot mit Butter. Das alles zum Preis von zweiunddreißig Euro! Die Plates sind schon etwas ganz Besonderes. Ganz erstaunlich ist: Albert macht mit. Silvia jedoch kann sich nicht überwinden, diesen „Glibberkram“ auf die Zunge rutschen zu lassen, zu kauen und anschließend auch noch zu schlucken. Vergeblich argumentieren wir drei „Perversen“ damit, dass sich diese Aversion insbesondere mit den kleinen Plates schnell geben werde. Keine Chance.

Albert schlürft Muscadet zu seinen Huîtres Plates

Albert schlürft Muscadet zu seinen Huîtres Plates

Im Anschluss genießen wir den Ausblick auf das Wasser, machen einen kleinen Verdauungsspaziergang am Bélon entlang in Richtung Meer, setzen uns schließlich wieder in das Auto und fahren zum Super U einkaufen. Wieder einmal staune ich über die Diskrepanz zwischen Einkaufsplanung (Würstchen für den Hund, Hüttenkäse für den Hund) und Einkaufserfolg (voller Einkaufswagen inklusive zweier Galette-Pfannen). Auf der Rückkehr ins Ferienhaus bietet sich uns ein unglaublicher Sonnenuntergang. Daher fahren wir bis zum Häfchen von Saint-Gildas-de-Rhuys durch und lassen uns von Licht in Südseestimmung versetzen. Goya braucht dringend Auslauf. Anschließend verspeisen wir der Bouillabaisse zweiten Teil. Doppelkopf beschließt den Abend. Ach, wie gerne ich mich quälen lasse!

Der Strand von Suscino ist völlig menschenleer

Der Strand von Suscino ist völlig menschenleer

Neunundzwanzigster Tag, 15. Oktober 2015

Der Tag der Rückkehr in die Heimat rückt näher – noch zweimal schlafen. Es gibt in Anbetracht des Aufbruches einiges zu tun. Die neue Waschmaschine ist gefordert und schon mal ein bisschen aufräumen ist auch nicht verkehrt. Ich spüre, wie sich so etwas wie Bedauern in meinem Kopf breit macht. Die anderen sind auch nicht so extrovertiert wie sonst.

Wir berufen nach dem Frühstück eine kleine Konferenz ein und beratschlagen, was wir heute unternehmen wollen. Es soll nicht allzu weit zu fahren sein – von der unmittelbaren Umgebung haben wir ja nicht viel gesehen. Es besteht zudem Konsens, dass die von uns im Vorfeld des Urlaubes zur Besichtigung projektierten „Schatöschen“ viel zur kurz gekommen sind. Unsere Karte konsultierend stoßen wir auf die Bezeichnung „Château de Suscino“, ein Schloss, das südöstlich von Sarzeau ganz in der Nähe der Bucht von Landrézac gelegen ist, quasi am Strand. Ein großer Teilabschnitt heißt denn auch „Plage de Suscino“.

Das Château de Suscino vom Strand aus gesehen

Das Château de Suscino vom Strand aus gesehen

Ein Schloss mit vielen Facetten

Wir machen uns auf den Weg. Aus Sarzeau kommend, von der D198 rechts in die D198A einbiegend, eine letzte Kurve nehmend erscheint das Schloss urplötzlich vor uns. Das Wasserschloss macht einen gewaltigen Eindruck, dem man baubedingt seine zeitweilige Aufgabe als Wehrschloss deutlich ansieht. Zum Zeitpunkt unseres Aufenthaltes wird im Schloss selbst und im Bereich des westlichen Wehrturms aufwändig renoviert. Daher müssen die Besucher einen finanziellen Beitrag in Form von Eintrittsgeld bezahlen, was wir völlig in Ordnung finden. Mit Hund ist das Betreten der Anlage leider nicht gestattet, weswegen ich mit Goya draußen bleibe. Albert lässt mich netter Weise nicht alleine. Wir begnügen uns mit einer Außenbesichtigung.

Eine der mächtigen Mauern des Wehrschlosses

Eine der mächtigen Mauern des Wehrschlosses

Wechselnde Aufgaben

Eine kurze Vita des Schlosses möchte ich nicht vorenthalten. Wahrscheinlich wurde es zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts in kleinerem Umfang als Jagdschloss erbaut. Der Ausbau zu einer befestigten Burganlage nahm in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts der Herzog Yann IV. Monfors vor, indem er Wassergräben anlegen, den Zugang zur Burg mit einer Zugbrücke versehen und diesen von großen Rundtürmen flankieren ließ. Schießscharten, später mit runden Öffnungen für Kanonen, sowie Pechnasen sollten es Angreifern unmöglich machen, in die Burg einzudringen. Nach weiteren Ausbaumaßnahmen durch Yann V. Monfors war eine nahezu uneinnehmbare Festung entstanden, was sogar Henry Tudor, den späteren König Henry VII. von England, anlässlich der Rosenkriege (1455 bis 1485 mit ein paar Pausen) veranlasste, dort Schutz zu suchen. Im Jahr 1532 übernahm Franz I. als französischer König das Schloss, nachdem die Bretagne ihre Unabhängigkeit verloren hatte. Während der französischen Revolution wurde das Château de Suscino weitgehend zerstört.

Nachdem sich die Damen im Schloss umgesehen und uns einmal von der Mauer aus wie die Burgfräulein gewunken haben, fahren wir zum nahe gelegenen Strand, der sich lang und leer präsentiert.

Auf der Rückfahrt kehren wir in St.-Gilds-de-Rhuys noch einmal in das Café am Markt ein, sozusagen als Abschied von dem Städtchen. Zum Abendessen gibt es heute nur ein Reste-Menu. Doppelkopf beschließt unsere gemeinsamen Aktivitäten, ich sage dazu nichts weiter. Gute Nacht!

Dreißigster Tag, 16. Oktober 2015

Heute ist es so weit: Es ist unser letzter Ferientag in Saint-Gildas-de-Rhuys angebrochen. Wir stehen früher auf als sonst, und wie jeden Morgen macht sich sogar heute Albert auf den Weg, Baguette und Croissants zu besorgen. Ich ziehe mit Goya los. Er freut sich und kann es wie immer kaum erwarten. Auf unserem Weg schieße ich noch ein paar Fotos von interessanten Motiven, die mir im Laufe unseres Aufenthaltes aufgefallen waren.

Eine der zahlreichen Passionsblumen im Garten

Eine der zahlreichen Passionsblumen im Garten

Nach dem Frühstück füllen wir die Waschmaschinentrommel mit der restlichen Wäsche, die wir am Vortag nicht geschafft haben. Albert hilft mir, den Dachgepäckträger zu befestigen. Anschließend mache ich mich mit Silvia zusammen zu Fuß auf, das eine oder andere, was wir immer schon mal fotografieren wollten, abzulichten. Gegen Mittag kehren wir zurück. Albert sitzt im Garten und spielt Gitarre. Beim Verstauen des Gepäcks treffe ich die Nachbarin von gegenüber, eine Dame aus Lille, die seit ein paar Tagen in ihrem Ferienhaus nach dem Rechten sieht und Reparaturarbeiten überwacht. Sie erzählt mir, wie gerne sie der Musik Alberts lausche. Die Klänge drängen wie aus dem Nirgendwo kommend in ihr Ohr.

Irgendwann am Nachmittag haben wir es geschafft und das, was wir nicht mehr unbedingt brauchen, ist in den Autos verschwunden. Am Nachmittag setzen sich Albert und Petra zusammen, um gemeinsam zu musizieren. Ich versuche, mich ebenfalls ein wenig musikalisch einzubringen und muss schon sagen, das hätten wir öfter mal tun sollen. Im Übrigen ist der Nachmittag damit ausgefüllt, im Ferienhaus sauber zu machen. Es gibt ja Menschen, die auf dem Standpunkt stehen, die Endreinigung sei von ihnen bezahlt worden und dementsprechend versaut dürften sie die Unterkünfte verlassen. Wir können das nicht nachvollziehen. Wir alle würden uns schämen.

Vor dem Abendessen ziehe ich nochmals mit Goya los ans Meer. Am Abend spielen wir Doppelkopf – bei mir wird das wieder nichts. Gegen Mitternacht mache ich mit Albert zusammen den letzten Nachtspaziergang, dann geht es in die Kojen.

In Sarzeau im Café warten auf den Rest des Frühstücks

In Sarzeau im Café warten auf den Rest des Frühstücks

Einunddreißigster Tag, 17. Oktober 2015

Nach einer ziemlich schlaflosen Nacht – das Reisefieber hat mich wieder einmal gepackt – mache ich mich mit dem Hund auf die Socken. Frühstück gibt’s heute keines, weil wir das irgendwo in Sarzeau in einem Café erledigen wollen. Um neun Uhr erwarten wir Mme L. wegen der Übergabe der Wohnung. Die ist schnell abgewickelt. Mit Argusaugen gehen wir noch einmal durch das Haus, damit wir ja nichts vergessen. Dann fahren wir los.

Das Café von außen

Das Café von außen

In Sarzeau finden wir ein gemütliches Café, das gleichzeitig Verkaufsladen für Backwaren, Zeitungen und sonstiges Gedrucktes ist. Wir werden von zwei sehr freundlichen Damen umsorgt. Jeder einzelne der Einheimischen, der hereinkommt, um sein Baguette zu kaufen, wendet sich uns mit einem freundlichen Gruß zu. Nachdem wir unsere Croissants vertilgt und den Milchkaffee ausgetrunken haben, bezahlen wir die Rechnung, verabschieden uns und brechen getrennt auf. Albert und Silvia wollen über Rouen zurückkehren, Petra und ich haben beschlossen, die Strecke über Paris zu nehmen.

Geduld und Grad der Erholung auf dem Prüfstand. Foto: Petra Michael

Geduld und Grad der Erholung auf dem Prüfstand. Foto: Petra Michael

Stau in Paris

Die Uhr zeigt exakt zwanzig Minuten vor zehn an, als wir in Sarzeau aufbrechen. Nach rund fünfhundert Kilometern gegen fünfzehn Uhr erreichen wir den Stadtrand von Paris. Zu viele Pariser Autofahrer auf zu wenigen Straßen bedeutet Stau. Der wird durch einen defekten LKW optimiert. Petra macht einige Fotos durch die saubere (ähem) Windschutzscheibe unseres Autos.

Wir benötigen fünfundvierzig Minuten, um die nordöstliche Seite von Paris zu erreichen. Dann verschwindet der Moloch hinter uns und wir verlassen rund vierzig Kilometer weiter angesichts eines ausgedehnten Waldgebietes die Autobahn, um eine Stelle zu finden, an der wir mit Goya einen anständigen Spaziergang machen können. Ich muss es einfach nochmals betonen: Der Hund ist unglaublich geduldig. Er hat sich das verdient. Wir auch.

Eine der drei in Senlis

Eine der drei auf engstem Raum in Senlis

Noch ein Rundgang

Wieder unterwegs in Richtung Autobahn taucht kurz vor der Mautstation eine Städtchen namens Senlis auf. Wie wir dem Netz entnehmen existierte es als recht bedeutsame Ortschaft bereits zur Zeit der Römer unter dem Namen Augustomagus. Mit mehreren hoch aufragenden Kirchtürmen auf engstem Raum sieht Senlis von weitem aus wie etwas, das man gesehen haben muss. Wir haben jetzt siebzehn Uhr, rechnen kurz nach, wie lange wir für die restlichen vierhundertfünfzig Kilometer brauchen könnten und entscheiden uns für einen Kurzbesuch. Mit ihren drei Kirchen im Zentrum, darunter eine ehemalige Kathedrale, entpuppt sich Senlis als eine mittelalterliche Fundgrube. Da wir jedoch auf einem der Plätze das voll beladene Auto abgestellt haben und uns ein wenig um dessen Sicherheit sorgen, beschließen wir, Senlis zu einem anderen Zeitpunkt genauer in Augenschein zu nehmen, besorgen uns in einer !deutschen! Bäckerei etwas zu essen und brechen kurz vor achtzehn Uhr wieder auf. Vier Stunden später laufen wir nach einunddreißig Tagen in Bonn ein.

Das eigene Bett ist schon was wert. (ks)

Link zum ersten Teil der Reise

2017-08-11T23:30:40+00:0028 Juni 2017|