Ein Abend der Solidarität am Lesepult
Der Radiosender WDR COSMO hat gemeinsam mit dem Freundeskreis #FreeDeniz verschiedene Schauspieler, Comedians und Autoren veranlasst, vor zahlreichem Publikum im WDR-Funkhaus am Walraffplatz in Köln Texte des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel zu lesen. Yücel sitzt seit dem 14. Februar 2017 in türkischer Untersuchungshaft. Vorgeworfen werden ihm Terrorpropaganda und Volksverhetzung. Vergeblich sind bislang die Bemühungen der Bundesregierung, auf Recep Tayyip Erdogan einzuwirken.
Deniz Yücel ist bekanntlich nicht der einzige Journalist, dessen Berichte der türkischen Obrigkeit nicht passen. Spätestens seit dem Umsturzversuch in der Türkei im Juli 2016 werden Kritiker schnell zu Terroristen gestempelt oder zum erweiterten Kreis von Terroristen gezählt und mundtot gemacht. In allen Fällen wird den betroffenen Journalisten die Nähe zur Gülen-Bewegung angelastet. Auch wenn Fethullah Gülen, der in den USA im Exil lebt, sich tatsächlich bemüht, mehrere wichtige Bereiche der öffentlichen Verwaltung mit Anhängern seiner Bewegung zu besetzen und es durchaus verständlich ist, dass Erdogan alleine diese Möglichkeit als Bedrohung empfindet, so muss er sich doch kritische Fragen und Berichterstattungen gefallen lassen. Seine Reaktionen hierauf, die Folterungen sowie die mit den Verhaftungen in Kauf genommenen Kollateralschäden in Form von falschen Anklagen und sinnlos zerstörten Existenzen belegen deutlich, dass die Türkei von einem Rechtsstaat sehr weit entfernt ist. Nach Informationen der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ sitzen derzeit 49 Journalisten wegen unliebsamer beziehungsweise unbotmäßiger Berichterstattung im Gefängnis. Ende Mai 2017 ließ das türkische Justizministerium verlauten, dass seit dem gescheiterten Putschversuch 50.136 „Verdächtige“ in Untersuchungshaft überführt wurden. Unter diesen befinden sich 8816 Polizisten, 6982 Soldaten (davon 167 Generäle), 2431 Richter und Staatsanwälte sowie 23 Provinzgouverneure. Nach weiteren 7112 Verdächtigen werde gefahndet.
Der Freundeskreis #FreeDeniz hat sich bereits kurz nach der Inhaftierung Yücels gegründet und setzt sich mittels verschiedener Aktionen für dessen Freilassung ein. Das Motto der Lesung im WDR-Funkhaus lautete: „Wir wollen das Meer sehen – Deniz’i görmek istiyoruz“. Für der türkischen Sprache nicht mächtige Zeitgenossen sei erläutert, dass der Begriff „Meer“ auf türkisch „Deniz“ bedeutet. An der Lesung nahmen teil: Thomas Gottschalk, Oliver Welke, Christine Westermann, Olli Dittrich, Carolin Emcke, Günter Wallraff, Oliver Polak, Fatih Cevikkollu, Else Buschheuer, Doris Akrap, Halima Ilter, Osman Okkan und Ilkay Yücel, die Schwester von Deniz Yücel.
WDR COSMO ist der Nachfolgesender von Funkhaus Europa, über das die wachsende Zahl von ausländischen Arbeitnehmern medial versorgt wurde. COSMO wird vom WDR in Kooperation mit Radio Bremen und RBB betrieben.
Es geht um Solidarität
Die „Vorleser“ machten im Vorfeld der Sendung deutlich, dass es nicht darum gehe, mit Yücel einer Meinung zu sein. Es gehe darum, die Presse- und Meinungsfreiheit zu schützen. In diesem Kontext wies Christine Westermann darauf hin, dass sie genauso wie Yücel Journalist(in) sei und sie deswegen ihre Solidarität mit ihm deutlich machen wolle.
Auf seine respektlose Satire-Sendung „Heute Show“ angesprochen sagte Oliver Welke, er fühle sich keineswegs mutig, dürfe er doch in Deutschland alles sagen, ohne befürchten zu müssen, verhaftet zu werden.
Welke: „Vielleicht fühlt sich mal der eine oder andere Politiker auf den Schlips getreten, aber uns würde keiner verbieten, über irgendwen zu sprechen.“
Der Heute-Show-Moderator ist der Meinung, dass Erdogans Handlungen derzeit ganz besonders vom Wahlkampf bestimmt sind. Zudem sei er davon überzeugt, dass Erdogan selbst am meisten von der deutlichen Zustimmung zu seinem Referendum überrascht war. Dieser nehme im übrigen die Macho-Kultur dankbar als wunderbar funktionierende Methode in Anspruch. Seine Angst vor Kritik sorge dafür, dass er sich in einem permanenten Notwehr-Modus befinde. Daher sollten Bemerkungen wie etwa „Deutschland begeht Selbstmord“ nicht zu hoch aufgehängt werden.